In der kalten Jahreszeit, wenn alle Nutztiere in den Ställen sind, gibt es wenig Berichte über die Aktivitäten der Wölfe. Wir haben uns mit Hans Gartmann, Chef der Wildhut im Jagdbezirk 3, getroffen um über das Verhalten des Beverin Rudels aus erster Hand zu erfahren. Das Interview führte Sebastian Nagelmüller.

Während des Entstehens dieses Interviews wurde die erneute Reproduktion des Beverin-Rudels im Gebiet Nolla am Heinzenberg festgestellt. Ausserdem kam es im Perimeter des Jagbezirk 3 in drei aufeinanderfolgenden Nächten zu Schafrissen auf der Stutzalp. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt über beide Ereignisse berichten.

Sebastian Nagelmüller (SN): Guten Tag und herzlichen Dank dafür, dass wir uns über die Aktivitäten des Beverin-Rudels im Winter und Frühjahr 2020 unterhalten können. Magst du dich kurz vorstellen?

Hans Gartmann (HG): Vielen Dank für das Interesse. Ich bin Hans Gartmann, lebe in Tschappina und bin seit 41 Jahren Wildhüter, die letzten 30 Jahren als Chef des Jagdbezirks 3.

Hans Gartmann, Chef der Wildhut im Jagdbezirk 3

SN: Wie hat sich das Beverin Rudel im Winter 19/20 verhalten? Wo hielten sich die Wölfe überwiegend auf?

HG:  Mit den Hirschen zog das Beverin Rudel im Spätherbst, Anfangs Winter in die Winter-Einstandsgebiete des Hirschwilds. Sie hielten sich überwiegend im Talbereich vom Schams und am Heinzenberg bis Rhäzüns/Bonaduz auf und ernährten sich von Wildtierrissen. Vorwiegend wurden Hirsche und Rehe gerissen und sicher auch Gämsen, die sich im Talbereich aufhielten. Sicher wurden auch an Gämsblindheit (IKK) erkrankte Gämsen um den Beverin gerissen und gefressen. Im Safiental (Signia-Gebiet), wo um den Jahreswechsel die IKK ausbrach, beobachteten wir aber keine Wölfe. Dort war vor allem der Luchs präsent.

Das Beverin Rudel wechselte häufig sein Jagdgebiet im beschriebenen Raum, war also sehr viel unterwegs. Im Februar während der Paarungszeit wurde deutliches Paarungsverhalten (Heulen) wahrgenommen. Zu diesem Zeitpunkt stellten wir auch die ersten Abspaltungen des Rudels fest.

SN: Wie hat sich das Rudel verändert? Haben sich bereits einzelne Tiere abgespalten?

HG:  In den Monaten März/April wurden wieder Wolfsbeobachtungen und Risse im Rheinwald, in Ferrera-Avers und im Safiental gemacht. Es konnten Einzeltiere aber auch Gruppen von bis zu 4 Tieren zusammen beobachtet werden. Es haben sich Abspaltungen ergeben, Abwanderungen aus dem Revier des Beverin Rudels konnten jedoch noch keine Nachgewiesen werden. Dies heisst aber nicht, dass es sie nicht gegeben hat.

Im Vergleich zur Region Surselva gab es im Revier des Beverin Rudels im Frühjahr nur wenig Nutztierrisse. Wir glauben deshalb, dass die letztjährige Regulation einen gewissen Vergrämungseffekt bewirkt hat. (Anm.d.Red. Inzwischen kam es in den Nächten 20.07., 21.07 und 22.07 zu insgesamt 8 Rissen an Schafen und Lämmern auf der Stutzalp. Wir bemühen uns die Hintergrundinformationen zum genauen Hergang der Risse abzuklären und zu berichten)

SN: Welche Entwicklung wird bezüglich weiterer Abwanderungen und neuem Nachwuchs erwartet?

HG: Es wird sicher Abwanderungen von Jungwölfen aus dem Revier geben. Nur von einem letztjährigen Welpen ist die DNA nicht bekannt.  Es ist für uns interessant, wo ein bereits bekannter Wolf des Beverin Rudels in einem neuen Lebensraum wieder nachgewiesen wird.

Bezüglich Nachwuchs haben wir noch keine Erkenntnisse, aufgrund des beobachteten Paarungsverhalten gehen wir aber von einer erneuten Reproduktion aus. (Anm.d.Red: Am 6. Juli wurde die erneute Reproduktion des Beverin Rudels festgestellt. Die genaue Anzahl der Jungwölfe konnte bislang nicht ermittelt werden.)

SN: Kann man eine Veränderung des Verhaltens des Schalenwilds beobachten? Hat sich die Anwesenheit bereits auf die Grösse der Schalenwild-Population ausgewirkt?

HG: Allgemein ist das Schalenwild (Hirsch, Reh, Gämse) viel aufmerksamer und scheuer geworden. Im Winter stellten wir auch zeitweilig grosse Rudelbildungen von Kahlwild (Hirsch) fest. Auf die Grösse der Populationen der einzelnen Arten hat sich die Anwesenheit des Rudels aber noch nicht gross ausgewirkt. Im sehr milden letzten Winter ist nur sehr wenig Wild an Alter, Schwäche oder Krankheit gestorben. Deshalb haben sich die vermehrten Wolfsrisse eher kompensatorisch auf den Bestand ausgewirkt.

SN: Gibt es genauere Angaben zu den Schafrissen in Hinterrhein?

HG: Nein, Grundsätzlich nicht. Der Wolfsübergriff erfolgte in der Nacht vom 21. auf den 22. April auf Schafe, die auf der Weide (Gemeinnutzung) gelassen wurden. Es wurde ein gerissenes und genutztes Lamm gefunden. Drei weitere Lämmer werden immer noch vermisst.

SN: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Team der Wildhut im Jagdbezik 3 ist weiterhin auf alle Meldungen aus der Bevölkerung zu Grossraubtieren angewiesen.
Obere Reihe: Markus Egle (Schams), Paul Gartmann (Safiental), Simon Jäger (Avers), Hans Gartmann (Heinzenberg)
Untere Reihe: Ivan Gredig (Domleschg), Roger Mart (Rheinwald), Michael Eichhoff (Rheinwald)