Hans Gartmann aus Tschappina war bis zu seiner Pensionierung im Sommer 2021 Chef der Wildhut im Jagdbezirk III. Mit Grossraubtieren hat er seit Jahren regelmässig zu tun – zum Beispiel vor 13 Jahren mit Risikobär JJ3 und 2016 erneut mit einem Bären. Schon fast zum Alltag im Gebiet rund um den Piz Beverin gehört inzwischen der Wolf. Der Luchs hingegen zählt zu den eher unauffälligen Spezies.

Herr Gartmann, wie oft bekommen Sie als Wildhüter einen Luchs zu Gesicht?

Hans Gartmann: Mir selbst ist noch nie eine Direktbeobachtung gelungen. Es ist schon vorgekommen, dass ich auf dem Tguma am Heinzenberg für eine Gämszählung im Einsatz war, und der Kollege, der die Gämsen vom Safiental aus mit dem Feldstecher zählte, sah den Luchs bei uns umherstreifen – wir nahmen ihn nicht wahr.

Wie lassen sich Luchse denn überhaupt nachweisen?

Grundsätzlich ist es so, dass der Luchs extrem selten direkt zu beobachten ist. Vielfach gelingt uns ein Nachweis nur durch Fotofallen oder aufgefundene Risse. Von Februar bis Mitte April 2021 hat allerdings die nationale Koordinationsstelle für Raubtierökologie und Wildtiermanagement Kora ein grossflächiges Luchsmonitoring in der Surselva durchgeführt. Dieses Monitoring hat auch das Safiental und den Heinzenberg bis an den Hinterrhein umfasst, also Teile des Naturpark Beverin. Es wird derzeit ausgewertet und soll bessere Aussagen zur Luchspopulation ermöglichen. Die Ergebnisse zur Anzahl Luchse und zur Luchsdichte im Perimeter sind momentan noch ausstehend.

Geht Ihrer Einschätzung nach die Luchspopulation eher zurück, ist sie stagnierend oder gar zunehmend?

Was wir in den letzten Jahren feststellen, ist eine ständige Ausbreitung der Territorien, die vom Luchs besetzt sind. Reproduktionen gab es sicher im Safiental, im Rheinwald und im Schams. Die Populationsentwicklung geht in Graubünden seit längerer Zeit von der Surselva aus. Man muss wissen: Der Luchs ist einzelgängerisch und territorial. Männliche und weibliche Tiere – Kuder und Katzen – treffen sich zwar zur Paarung, danach zieht aber das Weibchen die Jungtiere auf. Und bevor diese Generation wieder Nachwuchs bekommt, wandert sie aus, die Jungtiere suchen sich also neue Territorien. Weil es aber nur wenige Junge gibt, entwickelt sich die Ausbreitung eher langsam. Langsam, aber stetig.

Lässt sich abschätzen, wie viele Luchse im Naturpark Beverin leben?

Das ist schwierig abzuschätzen, und ich möchte da auch nicht den Ergebnissen des Monitorings vorgreifen. In der weiteren Region gibt es wie erwähnt sicher eine Katze und einen Kuder im Safiental, einen Kuder am Heinzenberg und im Raum Bonaduz und eine Katze im vorderen Rheinwald. Luchsvorkommen existieren ausserdem sicher noch im Raum Schams-Avers, einzelne Beobachtungen gibt es zudem aus dem Übernollagebiet bei Thusis.

Und wie sieht es im Gebiet des Parc Ela aus?

Aus dem Gebiet des Parc Ela gibt es aus jüngerer Zeit keine Luchsnachweise. Die je rund 20 Beobachtungen aus den Monatsberichten Grossraubtiere für April und Mai 2021 stammen alle aus den Regionen Surselva, Viamala, Prättigau und Imboden.

Hat eigentlich die zunehmende Wolfspräsenz Auswirkungen auf die Luchspopulation?

Wolf und Luchs kommen gut aneinander vorbei, das zeigt gerade das Beispiel Surselva. Sie sind ja auch keine direkten Nahrungskonkurrenten. Hauptnahrungstier des Wolfs ist der Hirsch, beim Luchs sind es Reh und Gämse.

Interview: Jano Felice Pajarola